Es klingt paradox: Unternehmen, wie zum Beispiel Hertz, melden Insolvenz an – und die Aktienkurse springen mehrere 100 Prozent nach oben. Viele große Akteure schmeißen Airlines aus ihren Depots: Die Kurse heben ab. Firmen ohne signifikanten Umsatz gehen an die Börse: Und sind innerhalb weniger Tage mehrere Milliarden Dollar wert. Den Anlegern scheint das derzeit egal zu sein. Doch das Risiko ist erheblich.
Aktien von insolventen Unternehmen heben ab
Einige (börsennotierte) Unternehmen haben in letzter Zeit Insolvenz (Chapter 11) angemeldet. Darunter zum Beispiel Hertz, J. C. Penney oder Latam Airlines. Andere Firmen wie Tailored Brands oder Chesapeake bereiten eine Insolvenz vor. Jetzt müsste man doch meinen, dass die Aktienkurse ins Bodenlose fallen und den Unternehmen kein Wert mehr zugesprochen wird.
Die Entwicklung schien zuerst auch so zu verlaufen. Hertz etwa meldete am 22. Mai Insolvenz an. Der Kurs fiel von rund 20 Dollar auf 0,56 Dollar.
Große Investoren stiegen zu Kursen von unter einem Dollar aus. Danach jedoch passierte etwas Spektakuläres. Der Kurs springt innerhalb von wenigen Tagen um mehr als 800 Prozent nach oben.
Von 0,55 Dollar auf über 5,50 Dollar pro Aktie. Selbst beim aktuellen Stand von 2,83 Dollar bedeutet das noch ein Plus von mehr als 400 Prozent. Und einen Börsenwert von über 500 Millionen Dollar für ein bankrottes Unternehmen.
Ähnliches spielte sich auch bei J.C. Penney oder Latam Airlines ab.
Woher kommen die Kursanstiege?
Zurecht fragt man sich, wer solche Aktien derart hochkauft. Hedgefonds und andere Institutionelle scheinen jedenfalls nicht dafür verantwortlich zu sein. Dann fällt der Blick also eher auf die (Day-)Trader. Doch auch diese würden so ein Risiko wohl eher nur sehr bedingt eingehen. In Verdacht geraten daher vermehrt die vielen „Amateur“-Trader – im Netz derzeit auch gerne Robinhooder genannt.
Auf Robintrack kann man die Popularität einzelner Aktien in der Trading-App Robinhood nachvollziehen. Diese ist sehr beliebt bei Privatanlegern. Wir sehen, wie sich die Robinhooder in die sinkenden Börsenkurse von Hertz eingekauft haben. Diese Masse an Anlegern kann dann durchaus für einen signifikanten Kursanstieg gesorgt haben. Springen dann noch Computer-Programme von professionellen Tradern auf die technischen Signale an und die Shortseller kommen unter Druck, dann ist das Kursfeuerwerk perfekt.
Nikola Motors: Kein Umsatz – mehr Wert als Ford
Eigentlich noch spektakulärer als die Kursanstiege von insolventen Unternehmen war der Börsengang von Nikola Motors. Die Firma entwickelt Autos und LKWs mit Brennstoffzellen.
An sich also ein spannendes und möglicherweise zukunftsträchtiges Umfeld, in dem sich Nikola bewegt. Der Haken: Vor 2021 macht das Unternehmen keinen einzigen Umsatz. Bisher gibt es lediglich Vorbestellungen. Das scheint den Anlegern jedoch wenig auszumachen. So wurde Nikola Motors zwischenzeitlich mit über 34 Milliarden Dollar bewertet und verbuchte innerhalb der ersten Tage ein Kursplus von über 160 Prozent. Ford hingegen wird derzeit nur mit etwa 25 Milliarden Dollar bewertet.
Zoom und Fangdd: Verwechslung im Aktien-Ticker sorgt für Kursexplosion
Schon öfter haben die Ticker – also Abkürzungen – von Aktien (etwa „FB“ für Facebook oder „ADBE“ für Adobe) für Verwirrung gesorgt. Anfang des Jahres war dies zum Beispiel bei Zoom Video Communications der Fall. Anstatt des Videokonferenz-Anbieters (Ticker: ZM) wurde Zoom Technologies (alter Ticker: ZOOM, jetzt ZTNO) ebenfalls hochgekauft. Der Kurs beim „falschen“ Zoom zog von Januar bis März rund 1.600% an.
Ähnliches ereignete sich nun bei der Aktie von Fangdd Network. Ganz sicher ist man sich zwar nicht, woher der starke Kursanstieg kam. Vermutet wird jedoch, dass der erste Trigger von Privatanlegern kam, die nach „FANG“-Aktien gesucht haben. Eigentlich steht FANG bzw. richtigerweise FAANG für die Unternehmen Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google (Alphabet).
Scheinbar sind auf Ihrer Suche jedoch viele Anleger auf „Fangdd“ (Ticker: Duo) gestoßen. Zumindest führte Fangdd im entsprechenden Zeitraum die Top-Liste bei Robintrack an. Das Kursplus betrug mehr als 400 Prozent.
Fazit
Stellenweise sind die Kursbewegungen derzeit nicht mit den klassischen Bewertungs-Methoden zu erklären. Es ist eher eine Mischung aus FOMO, Gier, und einer Menge an Anlegern, die sich mit Vorliebe auf charttechnisch ausgebombte Werte stürzt und auf das schnelle Geld hofft. Die neuen Trading-Apps machen es möglich, und triggern dadurch vermutlich auch die automatisierten Systeme der großen Händler. Es ist aber auch andersherum denkbar: Dass das „große Geld“ den ersten Schub setzt und die Kleinanleger dann noch aufspringen.
Wohin so ein schnelles, unbedachtes Hin- und Her-Traden jedoch führen kann, hat die Tage ein Twitter-Nutzer beschrieben: Ein 20-jähriger Student hat auf Robinhood mit Derivaten (laut Warren Buffett „Massenvernichtungswaffen“) gehandelt. Unwissend hat er dabei auf Kredit („Margin“) getradet. Die Schulden beliefen sich am Ende auf 700.000 Dollar. Er nahm sich das Leben. (Hier bei Twitter nachzulesen).
Die Entwicklung solcher Hypes und Kurskapriolen werde ich daher weiterhin interessiert beobachten. Und vor ihnen warnen.
Warren Buffett beschrieb dies 2018 in einem Interview so:
People start being interested in something because it’s going up, not because they understand it or anything else. But the guy next door, who they know is dumber than they are, is getting rich and they aren’t,“ he said. „And their spouse is saying can’t you figure it out too? It is so contagious.
Die Leute beginnen sich für etwas zu interessieren, weil es steigt, nicht weil sie es verstehen oder irgendetwas anderes. Aber der Typ von nebenan, von dem sie wissen, dass er dümmer ist als sie, wird reich und sie sind es nicht“, sagte er. „Und ihr Ehepartner sagt, können Sie es nicht auch herausfinden? Es ist so ansteckend.
Warren Buffett, Interview CNBC, 12.09.2018